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Weltacker Blog: Hybrid? Samenfest?

Hybridsaatgut Samenfest Weltacker

Das Podium von links: Dr. Reinhard von Broock, Anja Christinck, Benny Haerlin (Moderation), Gerd Carlsson  (Foto M. Mirwald)

Am Donnerstag, den 14.09.2017 drehte sich auf dem Weltacker alles um die Grundlage allen Essens: dem Saatgut. Dr. Reinhard von Broock, ehemaliger Geschäftsführer der KWS Lochow GmbH und somit Vertreter einer Hybrid-freundlichen Perspektive, diskutierte mit Anja Christinck, die eine enge Verbindung zur Praxis des Ökologischen Landbaus hat und in Forschung und Kommunikation bei Seed4Change tätig ist. Sie vertritt eine gemäßigte, sozialwissenschaftliche Perspektive: Hybridsaatgut an sich sei nicht das Übel, sondern die Restriktionen, Regelungen und Einschränkungen der Kleinbauern, vor allem in Entwicklungsländern. Anja Banzhaf, Autorin von „Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen“ musste sich leider wegen Krankheit entschuldigen. Für sie verfocht Gerd Carlsson, unser Weltacker-Bio-Gärtner, die Position des strikten Hybridgegners: auf dem Weltacker werden ausschließlich samenfeste Sorten angebaut.

All diese Begrifflichkeiten – Hybrid, Samenfest, F1 … – führten in der Diskussion zu viel Verwirrung, weshalb sie hier kurz definiert werden:

  • Hybridzüchtung: Züchtung hybrider Nachkommen (1. Filialgeneration = F1) besonders von Eltern aus Inzuchtlinien. Die dadurch erzeugte Überlegenheit der Hybriden gegenüber konventionellen Sorten geht allerdings in der F2–Generation aufgrund genetischer Aufspaltung weitgehend wieder verloren. Hybridsaatgut muss daher immer wieder neu gezüchtet und jährlich vom Erzeuger neu eingekauft werden.
  • Samenfest: Saatgut, das in seinen Eigenschaften konstant ist. Kann direkt von den Pflanzen gewonnen und so selbst vermehrt werden.
  • Bundessortenamt (BSA): führt die Sortenliste nach dem Saatgutverkehrsgesetz. Enthält u.a. Sortenbezeichnung, Name und Anschrift des Züchters, Auflagen und Beschränkungen, Zeitpunkt des Beginns und der Beendigung der Sortenzulassung (§ 47 SaatG).

Ziel der Diskussion war es, nicht die üblichen Vor- und Nachteile von Hybridsaatgut aufzuzählen, sondern tiefer zu gehen. Dr. Reinhard von Broock führte zunächst in die technischen Details der Hybridzüchtung ein. Grundsätzlich unterscheiden sich verschiedene Arten der Samenvermehrung: Zunächst Klone wie etwa Kartoffeln oder Kirschen, bei denen die Saatknollen oder Samen das gleiche genetische Material wie die Mutterpflanze besitzen. Liniensorten wie Weizen, Mais oder Gerste befruchten sich selbst. In der Mischbestäubung ist sowohl eine selbst, als auch eine Fremdbefruchtung möglich. Unter Fremdbefruchtung fällt das meiste Gemüse.

Bei der Hybridzüchtung werden zunächst zwei Linien auf Erbreinheit gezüchtet, meist durch Inzucht. Sie sind stabil und geben immer dieselben Eigenschaften weiter. In der Hybridzüchtung werden zwei solcher Elternlinien gekreuzt, was besonders leistungsstarke Nachkommen verspricht. Zur Hybridgewinnung darf sich eine Pflanze aber nicht selbst befruchten, wie das viele der großen Hybrid-Sorten wie Mais aber tun. Entweder müssen dann die Pollensäcke entfernt werden, was aber sehr arbeitsintensiv ist. Oder es kommt die CMS-Methode zum Einsatz – CMS steht für Cytoplasmatische männliche Sterilität und ist ein Verfahren, dass nahe an die Gentechnik heranreicht oder sogar schon ist. Hier wird in eine Zelle mit der Eigenschaft ‘männliche Sterilität’, gewonnen meist aus japanischem Rettich oder Sonnenblumen, mit einer Zelle der gewünschten Sorte verschmolzen. Später muss diese Eigenschaft wieder herausgenommen werden. Die Praktik muss nicht extra gekennzeichnet werden und hat viel Kritik auf sich gezogen.

Hybridsaatgut Samenfest Weltacker

Gut besuchte Ränge beim Ackertalk “Hybrid? Samenfest? Oder was?” (Foto M. Mirwald)

Für von Broock ist die Aufteilung in Ackerbau und Saatgutproduktion eine natürliche Art der Arbeitsteilung. Samenvermehrung lässt sich nicht nebenbei betreiben, und es sei nur rechtens, die Rechte an der mit viel Mühe gezüchteten Saat beim Züchter zu lassen, und damit auch den finanziellen Gewinn. Zudem rechne sich auch für die Bauern das Hybridsaatgut: zwar oft im Preis 100-200% teurer als normales Saatgut, doch der Gewinn durch den Ertrag überwiegt.

Anja Christinck kritisiert vor allem das wirtschaftliche Interesse der Züchter in der Privatwirtschaft. Damit sich die Zucht lohnt, muss die Pflanze auf einem ausreichend großen Gebiet angebaut werden. So lohne es sich etwa nicht, eine an dänische Verhältnisse angepasste Sorte zu entwickeln, da das Land mit seinen 43.000 km² schon zu klein sei. Einer Vielfalt an Saatgut wirkt so entgegengewirkt, was überhaupt nicht im Interesse der Bauern liege.

Ein zunehmendes Problem sei auch die Patentierung. In Deutschland darf zwar eigentlich unter Sortenschutz mit jeder Saat weitergezüchtet und ein merklich unterschiedliches Ergebnis auch neu beim Bundessortenamt registriert werden. Doch amerikanische Patente und auch zunehmend das Europäische Patentamt machen eine Weiterzucht zunehmend unmöglich. Für Christinck ist nicht so sehr die technische Dimension der Hybridzüchtung ein Problem, da so auch kleine Landwirte herumprobieren um ein angepasstes und ertragreiches Saatgut zu bekommen, sondern der Ausschluss der Landwirte aus der Saatgutzucht und ihre Abhängigkeit von Großunternehmen. Vor allem in Entwicklungsländern werde dies zunehmend ein Problem, obwohl sich diese seit Jahrhunderten gemeinschaftlich mit Saatgutbanken gegenseitig unterstützten und weiterentwickelten.

Für Gerd Carlsson ist Hybridsaatgut keine Option. Die Monopolbildung bei Saatgut schränke den Genpool ein, laut FAO seien schon 75% verlorengegangen. Ein diverses Ökosystem ist aber unsere Lebensgrundlage, wenn wir sie zu sehr einschränken wird sie auf Dauer unsicher und droht zu kollabieren. Zwar lohne sich Hybrid wirtschaftlich, diese Vorteile sein aber auch auf konventionellem Wege zu erreichen. Gerd berichtete vom Hof Marienhöhe, die auf extrem schlechten, sandigen Böden seit den 40ern erfolgreich Weizen anbauen. Durch eine fortwährende Anpassung des Saatguts sei dies möglich, samenfeste Sorten können über lange Zeit an ein spezielles Territorium angepasst werden und so zu Genvielfalt und Biodiversität beitragen. Zudem sei die Konzentration der Saatgutkonzerne ein großes Problem. Die 10 größten Konzerne beherrschen heute 50% des Saatguts, der mit Abstand größte ist Monsanto.

Bei der Frage, ob die Züchtung grundsätzlich in öffentliche Hand gelegt werden sollte, waren die Diskutanten unterschiedlicher Meinung. Von Broock hält öffentliche Züchtung für sehr viel weniger effizient als die private, sie schade zusätzlich aber nichts. Eine öffentliche Gendatenbank ist dabei allerdings notwendig. Anja Christinck befürwortet öffentliche Gelder, die dann mit einem speziellen Auftrag an private Züchter vergeben werden. So können die Vorteile beider Seiten kombiniert werden. Gerd berichtete von Vereinen wie Kultursaat e.V., bei denen eine ähnliche Form schon angewendet wird. Der Verein verteilt seine Gelder auf seine Züchter, die Sorten werden aber auf den Namen des Vereins eingetragen und bleiben so öffentlich.

Hybridsaatgut Samenfest Weltacker

Angelika Hilbeck berichtet von Saatgut-Problemen aus Afrika (Foto: M. Mirwald)

Von aktuellen Problemen im Bereich Saatgut berichtete auch Angelika Hilbeck. Sie forscht zu Saatgut und ist dabei oft in Afrika unterwegs. Dort unterzeichnen viele Regierungen gerade Saatgutregelungen, deren Zweckhaftigkeit nicht zu erkennen ist. So soll in Mali nur noch zertifiziertes Saatgut verwendet werden, was aber angesichts eines Anteils von nur 10% unmöglich ist. In Tansania ist es Bauern untersagt, über ihre lokalen Bezirke hinaus Saatgut zu handeln oder zu tauschen, ohne es zertifizieren zu lassen. Das ist unmöglich und auch finanziell nicht realisierbar. Mit der Situation konfrontiert erklärten tansanische Regierungsvertreter, die Regelungen würden sowieso nicht auf Kleinbauern angewendet werden. Dieses nicht-europäische Rechtsverständnis, eingebettet in die geförderte und auch vom ‘Westen’ geforderte Industrialisierung der Landwirtschaft wird in Zukunft noch viele Probleme mit sich bringen.

Hybridsaatgut Weltacker Samenfest

Köstliches mexikanisches Essen von Tlaxcalli (Foto: M. Mirwald)

Ob die Biodiversität wirklich unter der Hybridzüchtung leidet blieb in der Diskussion offen. Einig waren sich alle, dass das im Anschluss an den Ackertalk aufgetischte mexikanische Essen von Tlaxcalli wirklich lecker war. Unsere Frisch von Acker geernteten – samenfesten – Maiskolben wurden Frisch gegrillt und serviert. Zudem gab es Esquites, einen mexikanischen Straßensnack aus gegrilltem und gekochtem Mais mit Roter Bete Mayo, außerdem vegetarischer Tacos mit gegrilltem Gemüse und Chipotle Salsa. Bei diesem köstlichen Essen ließen wir den informativen Abend gemütlich ausklingen.

Wir freuen uns auf das nächste Mal!

Eure Magdalena Mirwald